EU-Urheberrechtsreform: Liebesgrüße aus dem Silicon Valley

EU-Urheberrechtsreform: Liebesgrüße aus dem Silicon Valley

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Ein großes Dankeschön aus dem Silicon Valley! Wir danken Euch Europäern, insbesondere Euch jungen Mitgliedern der Piratenparteien, dass Ihr die Linken unschädlich und uns damit reich machen wollt. Manchmal reißen wir Witze darüber. Die ganzen Kids, die das Internet frei und offen halten wollen, selbst wenn das, was sie propagieren, am Ende immer nur unsere geschlossenen, monopolistischen Plattformen stärkt. We love it!

Wir lieben es, immer reicher zu werden, je lauter die Piratenparteien nach demselben schreien: dem vermeintlich kostenlosen und offenen Zeug, das durch Unmengen von raffinierter Beeinflussung und Manipulation bezahlt wird. Und das ist erst der Anfang. Der Hauptgewinn winkt uns spätestens dann, wenn künstliche Intelligenz und Roboter richtig gut geworden sind und wir allein sie besitzen. Dann schulden wir niemandem einen Cent für die Daten, mit denen wir unsere KI-Systeme füttern. Mehr dazu gleich. Bis dahin, haha!

Wir finden es unfassbar cool und praktisch, dass die Piratenparteien die Bezahlung von Urhebern für eine Form von Zensur halten oder wie immer gerade ihr Dogma lautet. Denn kein Geld für Urheber heißt mehr Geld für uns, hier drüben in Kalifornien – Geld aus den Taschen der Zukunft Europas. Wie toll für uns! Wir werden immer reicher, und aus irgendeinem Grund findet ein Haufen progressiver Europäer das gut! Wir zahlen nicht gern für Daten, egal ob sie von Kreativen stammen oder von anderen. Und falls wir tatsächlich mal einen Kreativen für ein Video bezahlen, wollen wir selbst entscheiden, wen und wie viel. Das Letzte, was wir wollen, ist, Urheber zu stärken oder uns vom Markt sagen zu lassen, wie viel wir zahlen sollen. Wir sind so glücklich, dass wir alles unter Kontrolle haben!

Wir lachen uns ins Fäustchen, dass wir Eure Daten heute umsonst bekommen. So können wir personalisierte „Aktivitäts“- und „Überzeugungs“-Algorithmen einsetzen, die Euch abhängig machen. Und dann kommen wir mit Leuten ins Geschäft, die dafür bezahlen, dass wir Eure Verhaltensmuster beeinflussen. Durch Eure Compliance bei diesem Projekt konnten wir in kürzester Zeit die größten Vermögen der Menschheitsgeschichte anhäufen. Und das Schönste ist, dass Ihr nicht wahrhaben wollt, wie Ihr manipuliert werdet; Ihr, unsere Opfer, seid unsere engsten Verbündeten. Was für ein Glanzstück!

Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 13/2019. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.
Wir ergötzen uns an der nie da gewesenen Macht, fast die gesamte menschliche Kommunikation zu filtern. Wie schön, dass Ihr sie uns offenbar von Herzen gönnt! Unsere Algorithmen entscheiden, was gepusht wird und was von der Bildfläche verschwindet. Wir bestimmen, wie Eure Online-Welt aussieht. Schließlich ist die Beeinflussung Eurer Online-Welt die einzige Methode, mit der wir Geld machen. Dank dieser Macht sind wir Billionen von Dollar schwer; Kohle, die wir einnehmen, indem wir schmale Scheibchen unserer köstlichen Macht an Kunden vermieten. Aber wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir filtern sollen. Deswegen: danke, danke, danke, dass Ihr so tut, als würde uns die EU-Urheberrechtsrichtlinie dazu zwingen, zum allerersten Mal Filter einzusetzen. Wie irre, dass diese Verdrehung der Tatsachen vielleicht von genug Leuten geschluckt wird, um die Reform am Ende scheitern zu lassen.

Abgesehen davon, interessiert uns eigentlich nicht besonders, ob wir Urheber bezahlen oder nicht. Wenn man so reich ist wie wir, ist das kein großes Ding. Das Entscheidende ist: Indem wir die Urheber heute nicht bezahlen, bereiten wir den Boden für morgen, wenn wir jeden gigantisch abzocken, insbesondere Euch.

© Matt Winkelmeyer/Getty Images
Jaron Lanier

58, Informatiker und Künstler, war Internetpionier und erfand den Datenhandschuh für Virtuelle Realität. Zuletzt erschien von ihm Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst (Hoffmann und Campe).

Ihr müsst verstehen: Wir großen Tech-Plattformen befinden uns in einem epochalen Wettrennen um künstliche Intelligenzen. Das ist das Ziel, das uns eigentlich antreibt. Und um in diesem Rennen die anderen abzuhängen, brauchen wir jede Menge Daten. Wie angenehm, dass wir für diese Daten nicht bezahlen müssen!

Indem Ihr gegen die EU-Urheberrechtsrichtlinie protestiert, unterstützt Ihr uns dabei, die Urheber um ihre Bezahlung zu bringen, und damit auch Euch! Natürlich hat man Euch erzählt, dass Eure Daten nichts wert seien. Oh ja, bitte glaubt das! Euer Glaube, nichts als Euer Glaube, ist unser Segen. Eure geistige Verwirrung ist unsere Goldmine. Danke, dass Ihr Eure Zukunft zu unseren Gunsten verschenkt. Denn wenn Roboter eines Tages so weit entwickelt sind, dass sie Eure Jobs übernehmen, gehören die Roboter uns. Wir schulden Euch keinen Cent für die Daten, die die Roboter zu dem machen, was sie sind. Schließlich habt Ihr dafür gesorgt, dass wir niemandem etwas schulden!

Die Piratenbewegung lehnt jegliche Form eines effektiven Urheberrechts ab und zeigt sich einverstanden damit, dass gigantische Unternehmen die wertvollsten Daten der Welt kontrollieren, nämlich jene Daten, mit denen die künstlichen Intelligenzen der Zukunft betrieben werden. Schon klar, Ihr Piraten meint es nicht so. Ihr sagt, Ihr hättet nichts dagegen, wenn Urheber bezahlt werden, nur eben nicht von Big Tech. Vielleicht irgendwann, in einer alternativen Realität. Im Moment liebt Ihr das System, das Urheber abzockt, während wir, die Big-Tech-Giganten, den Lohn einstreichen – und wir lieben es auch. Nebenbei unterstützt Ihr ein paar symbolische, zum Scheitern verurteilte Projekte, die uns angeblich bekämpfen. Umso besser! Schließlich zählt der schöne Schein. Auch dafür ein großes Dankeschön.

Information

Seit Monaten tobt der Streit um die geplante neue Urheberrechtsrichtlinie der EU. Netzaktivisten fürchten um das freie Internet, Verbände von Künstlern und Wissenschaftlern verteidigen die Reform, weil sie sich mehr Rechtsschutz für ihre Werke erhoffen.

Im Endeffekt unterstützt Ihr uns, ob Ihr es wahrhaben wollt oder nicht. Die einzige Alternative, die Europa noch bleibt, wäre, uns zu besteuern, aber selbst das ist uns egal. Die Konsequenz wären mächtigere und reichere Regierungen, und vergesst nicht: Wir sind jetzt der Kanal, über den Wahlen gewonnen werden. In so einer Welt können wir wunderbar gedeihen.

Piraten, wir lieben Euch und alle, die Euer Narrativ kaufen! Wir schicken Euch Champagner, Blumen und Pralinen – nur kein Geld. Niemals Geld, außer vielleicht ein paar Cent, um Euer Milieu zu unterstützen in den seltenen Fällen, wenn sich das Gesetz gegen uns wendet.

Aber selbst dann bleibt Ihr das beste Schnäppchen aller Zeiten.

Nur schade um Eure Zukunft.

Unterzeichnet

Big Tech

PS: Eigentlich sind wir nicht alle so böse, und wenn Ihr den Kopf freibekämt, würdet Ihr in der Tech-Welt Verbündete finden, die auch wollen, dass Ihr in Zukunft bezahlt werdet.

Aus dem Englischen von Sophie Zeitz

Digitalisierung – Digitale Transformation

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March 23, 2019 at 04:42PM